Gesetz gegen „digitale Gewalt“ aus Praktikersicht

Am 12. April hat das Bundesjustizministerium die Eckpunkte des geplanten „Gesetzes gegen digitale Gewalt“ vorgestellt (https://www.bmj.de/SharedDocs/Gesetzgebungsverfahren/DE/Digitale_Gewalt.html). Im Wesentlichen ist geplant:

  • Ein Auskunftsanspruch von Personen, deren Rechte im Internet verletzt werden, gegen die Betreiber von sozialen Netzwerken und Messenger-Diensten auf Herausgabe der IP-Adresse des Rechtsverletzers.
  • Ein Anspruch des Verletzten gegen den Internet-Dienstleister auf Auskunft, wem die IP-Adresse zugeordnet ist bzw. war.
  • Bei offensichtlichen Rechtsverletzungen sollen die Auskunftsansprüche im Einstweiligen Rechtsschutz zeitnah durchgesetzt werden können.
  • Der Auskunftsanspruch gilt für alle Fälle der Verletzung absoluter Rechte. Das heißt: Er ist nicht beschränkt auf die Verletzung des Persönlichkeitsrechts natürlicher Personen (z.B. Beleidigungen im Internet), sondern greift auch ein, wenn die „Geschäftsehre“ von Unternehmen verletzt ist (z.B. im Fall einer sachlich unzutreffenden Behauptung im Rahmen einer Restaurantkritik „das Essen war kalt“).
  • Wenn die Gefahr einer Wiederholung schwerwiegender Verletzungen des Persönlichkeitrechts durch Inhalte besteht, die von einem bestimmten Account gepostet werden, kann der Verletzte beim Gericht die Anordnung einer zeitlich befristeten Accountsperre erwirken.

Aus Sicht des Rechtsanwalts, der täglich mit Beschwerden wegen Rechtsverletzungen im Internet zu tun hat, lässt sich sagen:

  • Die Ausweitung des Auskunfts-Anspruchs auf Betreiber von sozialen Netzwerken  und Internet-Zugangsdiensten ist zu begrüßen. Mit der bisher bestehenden Möglichkeit, eine Auskunft über die Bestandsdaten zu erhalten (§ 21 TTDSG), erhält dem Verletzten nicht selten Steine statt Brot, denn dabei handelt es sich oft nur um Fantasienamen.
  • Allerdings stellt sich die Frage, warum die Auskunftspflicht nicht auch auf Betreiber von Internet-Foren erstreckt wird. Gerade Internet-Foren sind der Ort, wo häufig Verletzungen der „Geschäftsehre“ durch unzutreffende oder herabsetzende Aussagen von tatsächlichen oder oft nur vermeintlichen Kunden stattfinden (https://riegger.de/reputation-im-internet/).
  • Gelegentlich wird die Sorge geäußert, das neue Gesetz eröffne auch bei Verletzung anderer absoluter Rechte (z.B. des Urheberrechts) neue Auskunftspflichten. Dazu ist zu sagen: Solche Auskunftspflichten bestehen bereits, für das Urheberrecht in § 101 Abs. 2 Nr. 3 UrhG.
  • Berechtigt ist aber die Sorge um die Meinungsfreiheit. Natürlich trifft es zu, wenn die Regierung beteuert, dass alle Äußerungen, die bisher erlaubt waren, auch in Zukunft getätigt werden dürfen. Trotzdem hat die Verschärfung der Regeln für Rechtsverletzungen einen Einfluss auf das Verhalten der Nutzer: Sie werden vorsichtiger und im Zweifel Aussagen unterlassen, auch wenn sie rechtlich zulässig sind.
  • Deshalb ist es irritierend, dass sich die erweiterte Auskunftspflicht gerade auch auf Messenger-Dienste beziehen soll, die der individuellen Kommunikation dienen. Gepostete Nachrichten wenden sich nicht an die Öffentlichkeit des Internets, sondern an individuelle (meist wenige) Adressaten. Die Gefährdung, die von Rechtsverletzungen durch Messenger-Nachrichten ausgeht, ist daher geringer z.B. in Online-Foren. Dennoch stehen die Messenger-Dienste im Fokus der Regierung, während Foren-Beiträge offenbar keine verschärfte Regulierung erfahren sollen.
  • Die beabsichtigten Account-Sperren dürften sich als weitgehend nutzlos erweisen, denn sie sind offenkundig leicht zu umgehen.
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