Referentenentwurf Hinweisgeberschutz-Gesetz (Whistleblower)

15.04.2022: Referentenentwurf – Gesetz zum Schutz von Hinweisgebern (Whistleblower)

Am 13.4.2022 hat das Bundesjustizministerium einen Referententwurf zum Schutz von Hinweisgebern vorgelegt (https://www.bmj.de/SharedDocs/Gesetzgebungsverfahren/DE/Hinweisgeberschutz.html). Er dient der Umsetzung der EU-Richtlinie 2019/1937. Nachdem sich die frühere Koalition in der 19. Wahlperiode nicht auf ein Umsetzungsgesetz einigen konnte, wurde die erste Umsetzungsfrist (17.12.2021) verpasst.

Der Entwurf zielt darauf ab, Personen vor negativen Konsequenzen zu schützen, wenn sie ihre innerbetriebliche Kenntnis über Rechtsverstöße mitteilen („melden“), die in einem Unternehmen oder einer Behörde passieren. Gemeldet werden können strafbare Handlungen und Ordnungswidrigkeiten, aber auch nicht strafbewehrte Rechtsverstöße z.B. gegen Vorschriften zur Geldwäsche, zur Produktsicherheit, zum Umweltschutz, zur Lebensmittel- und Arzneimittelsicherheit sowie zum Verbraucherschutz. Für die Meldung reichen „begründete Verdachtsmomente“ über „mögliche Verstöße“ bzw. über „Verschleierungsversuche“ in Bezug auf begangene Verstöße aus. Eine privatrechtliche Verschwiegenheitsverpflichtung soll der Meldung nicht entgegenstehen, sofern die hinweisgebende Person nur „hinreichenden Grund zu der Annahme hatte, dass die Weitergabe oder die Offenlegung des konkreten Inhalts dieser Informationen notwendig ist, um einen Verstoß aufzudecken“. Unter der gleichen Voraussetzung soll auch die Meldung von Informationen erlaubt sein, die als unternehmerisches Geschäftsgeheimnis geschützt sind. Sogar Informationen, die unter das Steuergeheimnis (§ 30 AO) fallen, sollen gemeldet werden dürfen. Adressaten der Meldung können nach Wahl des Hinweisgebers entweder eine innerbetriebliche oder eine externe Meldestelle sein, die beim Bundesamt für Justiz und bei weiteren Behörden einzurichten sind. Die Meldestellen haben die Aufgabe, den Sachverhalt zu prüfen, weitere Informationen einzuholen und den Hinweisgeber erforderlichenfalls „an andere zuständige Stellen zu verweisen“ oder das Verfahren an die zuständige Behörde (Staatsanwaltschaft, Verwaltungsbehörde) zwecks weiterer Untersuchungen abzugeben. Wird eine zuvor eingeschaltete externe Meldestelle nicht tätig oder ergreift sie keine (aus Sicht des Hinweisgebers) „geeigneten“ Maßnahmen, ist vorgesehen, dass der Hinweisgeber die Information sogar öffentlich machen darf – etwa indem er sich an die Presse wendet. Gleiches gilt, wenn er im Fall einer externen Meldung „Repressalien befürchtet“ oder „hinreichenden Grund zu der Annahme“ hat, dass der Verstoß wegen eines „Notfalls“ eine „unmittelbare Gefährdung des öffentlichen Interesses“ darstellen kann.

Es ist ein vollumfänglicher Schutz des Hinweisgebers vorgesehen. Weder kann er für die Beschaffung der Information rechtlich belangt werden (sofern die Beschaffung der Information keine eigenständige Straftat darstellt, wobei hier § 5 Nr. 2 GeschGehG zu beachten ist), noch haftet er für die Meldung oder Veröffentlichung der mitgeteilten Information. Stellt sich später heraus, dass der Verdacht unbegründet war, und erleidet das Unternehmen dadurch einen Schaden (etwa in Form entgangener Aufträge oder eines Imageschadens), soll eine Schadensersatzpflicht des Hinweisgebers nur dann bestehen, wenn er bei der Meldung oder Offenlegung der Information vorsätzlich oder grob fahrlässig gehandelt hat.

Bewertung: Die Anzeige von Straftaten und Ordnungswidrigkeiten bei Polizei und Staatsanwaltschaft ist jederzeit möglich. Dieser Weg steht Arbeitnehmern schon heute offen. Liegt tatsächlich eine Straftat vor, scheidet ein Fehlverhalten des Arbeitnehmers und damit eine Sanktionsmöglichkeit i.d.R. aus (wobei – das sei zugestanden – die Möglichkeit für Repressalien besteht, deren Zusammenhang mit der Anzeigeerstattung nicht beweisbar ist). Eine Änderung bringt das Gesetz also nur im Graubereich, wenn der Arbeitnehmer Anhaltspunkte für ein Fehlverhalten zu erkennen glaubt, sich seiner Sache aber nicht sicher ist. Aufgrund der weitgehenden Freistellung des Hinweisgebers von jeglicher Sanktion ist zu befürchten, dass der Gesetzentwurf zu einer Melde- und Verdächtigungskultur führt, die schweren Schaden im Unternehmensklima anrichten kann. Hinzu kommt das Missbrauchspotential der Neuregelung. In der Praxis kommt es z. B. häufig vor, dass Mitarbeiter bei technischen Neuentwicklungen der Auffassung sind, das Produkt verletze ein fremdes Patentrecht. Das wäre eine Straftat nach § 142 PatG. Der Mitarbeiter könnte sich daher berufen fühlen, seinen „begründeten Verdacht“ einer unternehmensinternen Stelle zu melden. Ist man dort der Ansicht, eine Patentverletzung liege nicht vor (solche Zweifelsfälle gibt es bekanntlich), kann sich der Mitarbeiter an eine externe Stelle wenden, wo man ihn entweder an den Patentinhaber verweist (der aufgrund seiner Klagemöglichkeiten gegen die bevorstehende Patentverletzung vermutlich als „zuständige Stelle“ anzusehen wäre) oder gleich die Staatsanwaltschaft einschaltet. Ergreift die externe Meldestelle keine – aus Sicht des Hinweisgebers – „geeigneten“ Maßnahmen, kann er sich u.U. an die Presse wenden. Die Neuentwicklung wäre in jedem Fall offenbart und der Schaden eingetreten, selbst wenn ein Gericht in Zukunft feststellen würde, dass keine Patentverletzung vorliegt. Das Missbrauchspotential durch unzufriedene Arbeitnehmer und die Gefährdung von Geschäftsgeheimnissen sind nicht von der Hand zu weisen.

Zum Schutz der Hinweisgeber hätte ein Repressionsverbot für den Fall begründeter Verdachtsmitteilungen sowie eine Beweislastumkehr zu Gunsten des Hinweisgebers bei Klagen gegen betriebliche Repressionsmaßnahmen völlig ausgereicht. Der Fehler wurde allerdings schon durch die Zustimmung zur EU-Richtlinie 2019/1937 gemacht.

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