Grundsätze der Verdachtsberichterstattung beim Vorwurf der Tierquälerei

Ein Verein, der sich für Belange des Tierschutzes und gegen die industrielle Massentierhaltung einsetzt, berichtet auf seinem Internet-Presseportal unter Namensnennung des Betriebes und großem Medienecho über angebliche tierwohlgefährdende Praktiken in einem Kaninchenzuchtbetrieb. Das Landgericht untersagt per einstweiliger Verfügung die identifizierenden Elemente der Berichterstattung. Das Oberlandesgericht Stuttgart bestätigt die Entscheidung. Drei Punkte sind hervorzuheben:

Das Gericht misst die Berichterstattung am besonderen Sorgfaltsmaßstab der Presse. Zwar handelt es sich bei der Tierschutzorganisation nicht um „Presse“ im engeren Sinn. Ausschlaggebend ist für das Oberlandesgericht jedoch, dass sich der Verein nach seiner Satzung die Öffentlichkeitsarbeit für sein Anliegen zur Aufgabe gemacht habe und der betreffende Beitrag über ein reichweitenstarkes Presseportal verbreitet worden sei. Wer die besonderen Vorteile der Pressefreiheit für sich in Anspruch nimmt, muss andererseits auch die presseüblichen Sorgfaltsmaßstäbe beachten. Das Oberlandesgericht sieht diese Maßstäbe verletzt, weil die Grundsätze der Verdachtsberichterstattung nicht eingehalten worden seien. Eine Verdachtsberichterstattung liege nicht erst dann vor, wenn in der Presse über Straf- oder Ermittlungsverfahren berichtet werde. Vielmehr seien diese Grundsätze bei allen Presseberichten zu beachten, die mit einem Unwerturteil gegen Dritte verbunden sind. Im vorliegenden Fall, so das OLG, sei der Unterlassungsanspruch daher schon deshalb begründet, weil den betroffenen Klägern vor der Berichterstattung keine Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben wurde. Weiter sei für die identifizierende Verdachtsberichterstattung ein Mindestbestand an Beweistatsachen notwendig, die für den Wahrheitsgehalt der Information sprechen. Daran fehlt es nach Ansicht des OLG jedenfalls in Bezug auf die klagenden Gesellschafter des Betriebs, denen der Bericht eine persönliche Verantwortung im Sinne eines Organisationsverschuldens unterstelle (OLG Stuttgart, Urt. v. 1.2.2023, Az. 4 U 144/22 – Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes https://openjur.de/u/2464299.html).

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