Leben um zu arbeiten oder Arbeiten um zu leben?

Der Beklagte ist Wirtschaftspädagoge und Lehrer an einer berufsbildenden Schule. Er erstellte ein animiertes Video mit dem Titel „Der weise Fischer/Anekdote zur Arbeitsmoral/Böll“ und veröffentlichte dieses auf Youtube. Die Klägerin ist ein Verlag. Sie publiziert die Werke des Schriftstellers Heinrich Böll, u.a. dessen Geschichte „Anekdote zur Senkung der Arbeitsmoral“. Die Klägerin nimmt den Beklagten auf Unterlassung des Youtube-Videos in Anspruch und behauptet, es handele sich um eine Verletzung der ihr zustehenden urheberrechtlichen Nutzungsrechte an der Fabel von Heinrich Böll. Diese weise prägende schöpferische Bestandteile auf, welche im Gang der Handlung (Tourist trifft Fischer und es entwickelt sich ein Gespräch über unterschiedliche Standpunkte zum Stellenwert der Arbeit), in der Charakteristik und Rollenverteilung der handelnden Personen sowie der „Szenerie“ des Werkes lägen. Die wesentlichen Züge des Werkes würden im Video des Beklagten ohne ihre Zustimmung aufgegriffen und verbreitet. Der Beklagte wähle in seiner Animation die gleiche Rollenverteilung – Fischer und Tourist – als Protagonisten und die gleiche szenische Darstellung für ein Gespräch über die Frage, warum der Fischer nicht mehrmals am Tag aufs Meer fährt, um seinen Gewinn zu optimieren. Insgesamt ergebe sich der Eindruck von inhaltlich deckungsgleichen Erzählungen, auch wenn das Schriftwerk Bölls im Video nicht wortgleich übernommen worden sei. Der Beklagte verteidigt sich mit dem Argument, im Video finde sich keinerlei identische Übernahme des Textes von Böll. Er – der Beklagte – habe lediglich die Idee von zwei Menschen übernommen, die sich im Hafen treffen und ein Gespräch über den Sinn von Arbeit führen. Die bloße Idee für eine Geschichte sei urheberrechtlich nicht geschützt.

Das Landgericht gibt der Klage statt. Bei einem Werk der Literatur sei nicht nur die konkrete Textfassung urheberrechtlich schutzfähig, sondern auch formbildende Elemente mit schöpferischem Gehalt, die im Gang der Handlung, in der Charakteristik und Rollenverteilung der handelnden Personen und der „Szenerie“ des Werkes lägen. Unter diesem Aspekt sei auch das Werk von Böll geschützt, weil der Schriftsteller die Thematik „unterschiedliche Ansichten über den Stellenwert der Arbeit“ in Form einer fiktiven Begebenheit aufgreife und den Grundkonflikt „arbeitet der Mensch um zu leben oder umgekehrt“ kurz, prägnant und plastisch darstelle. Das Gericht hebt als urheberrechtlich schutzfähige Elemente die szenische Umsetzung – idyllische Küste am Meer, Aufeinandertreffen von Fischer und Tourist – sowie die Rollenverteilung, Thematik und das Ergebnis des Gesprächs hervor, welche sich allesamt im Video des Beklagten wiederfinden würden. Zwar weise die konkrete Textform Unterschiede auf, insbesondere die Verwendung einer modernen Sprache und des Dialekts als Stilmittel. Bei Würdigung des Gesamteindrucks der sich gegenüberstehenden Werke sei gleichwohl festzustellen, dass die Anekdote von Böll nicht hinter dem Video des Beklagten verblasse. Eine Urheberrechtsschranke in Form einer Parodie, Karikatur oder eines Pastiches vermag die Kammer nicht zu erkennen (LG Köln, Teilurt. v. 28.03.2024, Az. 14 O 181/22).

Bewertung: Im Grundsatz gilt, dass nur die konkrete Ausgestaltung eines Werkes urheberrechtlich schutzfähig ist, nicht die zugrunde liegende Idee. Ideen müssen frei von Schutzrechten sein, damit sich Kunst und Wissenschaft entfalten können. Der BGH hat die hier angewandte Rechtsprechung im Fall „Laras Tochter“ entwickelt (BGH Urt. v. 24.9.1999, I ZR 65/96). Dabei handelte es sich um den nicht autorisierten Versuch, Boris Pasternaks Roman-Erfolg „Doktor Schiwago“ fortzusetzen (hier: https://de.wikipedia.org/wiki/Laras_Tochter). Ob diese Rechtsprechung auf eine im Vergleich weniger komplexe anekdotische Geschichte übertragen werden kann, erscheint nicht zwingend.

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