Health-Label: YouTube kennzeichnet „zuverlässige Gesundheitsinformationen“ – wettbewerbsrechtliche Fragestellungen

YouTube (Google) hat angekündigt, seine Nutzer bei der Suche nach gesundheitsbezogenen Inhalten zu unterstützen, deren Quelle als besonders vertrauenswürdig eingestuft wird. Dazu sollen Videos aus zuverlässigen Quellen speziell gekennzeichnet werden. Zum einen will YouTube zu dem betreffenden Video einen Infobereich einblenden, der Informationen über die Quelle enthält. Außerdem ist beabsichtigt, dass Videos aus diesen Quellen in den Suchergebnissen in einem Bereich mit gesundheitsbezogenen Inhalten speziell hervorgehoben werden (https://blog.youtube/intl/de-de/news-and-events/youtube-health-zugang-zu-zuverlassigen-gesundheitsinformationen/). Beiträge mit dem Label dürften damit ihre Reichweite beträchtlich steigern können. YouTube will diesen Dienst seinen Nutzern ab Anfang 2023 zunächst in Deutschland zur Verfügung stellen. Eine Ausweitung auf andere Märkte ist geplant.

Ab dem 27.10.2022 können sich Anbieter von Gesundheitsinformationen um die Aufnahme in die neue YouTube Health-Gesundheitsfunktion bewerben. In einem ersten Schritt soll der Dienst nur Ärzten, Kliniken und „berechtigten Gesundheitsorganisationen“ (vermutlich v.a. staatliche Stellen) offenstehen. In der Folgezeit ist beabsichtigt, den Dienst für weitere Anbieter zu öffnen. Der Auswahlprozess soll nach Kriterien zur Beurteilung der Glaubwürdigkeit gesundheitsbezogener Informationen erfolgen, die u.a. von einer Expertengruppe der National Academy of Medicine (USA) aufgestellt und von der WHO bestätigt wurden. 

Hört sich gut an – aber wie ist das geplante Health-Label nach deutschem Wettbewerbsrecht zu beurteilen? Anbieter von gesundheitsbezogenen Inhalten, die nicht berücksichtigt werden und deren Beiträge deshalb vermutlich in der Reichweite eingeschränkt sind, dürften nicht begeistert sein. Viele YouTube-Videos von Zeitungen, Journalisten oder Bloggern könnten davon betroffen sein, etwa Interviews mit Ärzten oder anderen Experten zu Gesundheitsthemen. Dass insoweit eine Wettbewerbsthematik besteht, ist schon deshalb offenkundig, weil die Reichweite – gemessen an der Zahl der Abrufe – nach den Geschäftsbedingungen von YouTube ausschlaggebend für die Honorierung ist. Die erwähnten Anbieter sind auf diese Einnahmen angewiesen. Aber auch YouTube selbst ist ein Akteur mit wettbewerbsrechtlicher Relevanz. Je höher die Abrufzahlen eines Beitrags sind, desto höher sind die Einnahmen aus vorgeschalteter Werbung. Wenn das Unternehmen durch das Kennzeichnen und Hervorheben von Beiträgen deren Reichweite erhöht, geschieht das somit (auch) zur Förderung des eigenen Geschäftserfolgs.

Bei Anbietern, deren YouTube-Beiträge als „vertrauenswürdig“ gekennzeichnet sind, steht der wettbewerbsrechtliche Tatbestand der irreführenden Werbung mit einer Auszeichnung in Rede. Wird mit einer Auszeichnung geworben, sind die Gerichte bisher davon ausgegangen, dass der Verkehr die Neutralität der Stelle erwartet, die die Auszeichnung verliehen hat. Zudem erwartet der Verkehr ein objektives Prüfungsverfahren (BGH GRUR 1984, 740 – Anerkannter KFZ-Sachverständiger; OLG Hamburg GRUR 1991, 470). Die Neutralität könnte vorliegend zweifelhaft sein, wenn YouTube selbst die Einstufung vornimmt. Ob der Verweis auf die zur Einstufung herangezogenen Leitlinien ausreicht, welche von dritter (neutraler) Seite erstellt wurden, erscheint zumindest dann fraglich,  wenn ein relevanter Beurteilungsspielraum verbleibt. Aber auch wenn die Zertifizierung der Informationsquelle nicht von YouTube selbst, sondern von einer unabhängigen dritten Stelle vorgenommen wird (Einzelheiten dazu sind noch nicht bekannt), bestehen grundsätzliche Zweifel an der Objektivität des Prüfungsverfahrens. Denn bei der Beurteilung der „Glaubwürdigkeit“ einer wissenschaftlichen Informationsquelle, die auf den Ausschluss „unglaubwürdiger“ Informationen gerichtet ist, besteht ein grundsätzlicher Konflikt mit dem Konzept von Wissenschaft, der nicht auflösbar ist. Wissenschaft ist auf den freien Austausch von Informationen und Meinungen gegründet. Das (vermeintlich gesicherte) Wissen von heute ist bekanntlich der Irrtum von morgen. Deshalb sind rein objektive Kriterien zur Beurteilung der Vertrauenswürdigkeit einer wissenschaftlichen Information von vornherein nur schwer denkbar. Dem entsprechend erscheinen die von der NAM entwickelten Kriterien bei näherer Betrachtung an vielen Stellen subjektiv, um nicht zu sagen willkürlich (hier: https://nam.edu/identifying-credible-sources-of-health-information-in-social-media-principles-and-attributes/). Dies gilt etwa für die generelle Bevorzugung staatlicher Stellen, aber auch für den Stellenwert wissenschaftlicher Zitate, aus deren Vorhandensein eine Übereinstimmung mit dem „Stand der Wissenschaft“ und daraus die Vertrauenswürdigkeit einer Quelle abgeleitet wird. Letzteres benachteiligt in der Konsequenz solche Anbieter, die nicht selbst wissenschaftlich publizieren, sondern z.B. – nicht weniger vertrauenswürdige – Interviews mit Wissenschaftlern oder auch mit Praktikern führen. 

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