Gerichtsverhandlung künftig als Videokonferenz?

Die Bundesregierung hat einen Gesetzentwurf eingebracht, dem zufolge die mündliche Verhandlung im Zivilprozess künftig als Videokonferenz stattfinden kann (BT-Drs. 20/8095: https://dserver.bundestag.de/btd/20/080/2008095.pdf).

Demnach soll der Vorsitzende Richter künftig die Möglichkeit haben, auf Antrag einem Verfahrensbeteiligten (Kläger und Beklagten sowie deren Anwälten) zu gestatten, per Bild- und Tonübertragung an der mündlichen Verhandlung teilzunehmen. Auch ohne vorherigen Antrag soll dies der Vorsitzende für einen, für mehrere oder sogar für alle Verfahrensbeteiligten anordnen dürfen. Selbst die Beweisaufnahme eines Zeugen per Video-Schalte soll auf diese Weise vom Richter angeordnet werden können. Die Adressaten einer solchen Anordnung haben die Möglichkeit, dagegen Einspruch einzulegen. Wird Einspruch eingelegt, ist die Anordnung aufzuheben. Stellen beide Prozessbevollmächtigten übereinstimmend den Antrag auf Durchführung einer Videoverhandlung, soll im Regelfall eine entsprechende Anordnung des Vorsitzenden ergehen. Auch einzelnen Richtern eines Kollegialorgans (z.B. einer Zivilkammer) kann der Vorsitzende bei Vorliegen „erheblicher Gründe“ gestatten, an der Verhandlung per Videokonferenz beizuwohnen (z.B. von zu Hause aus).

Dazu ist zu sagen: Die Justiz lebt von der Akzeptanz ihrer Entscheidungen durch die Bürger. Der rechtssuchende Bürger erwartet eine ernsthafte Befassung mit seinem Anliegen und seinen Argumenten. Ein unklarer Sachverhalt oder Missverständnisse des Gerichts können häufig erst in der Gerichtsverhandlung bei gleichzeitiger Anwesenheit aller Parteien und des Richters aufgeklärt werden. Die Gerichtspraxis zeigt, dass die Anwesenheit aller Prozessbeteiligten und des Gerichts im Verhandlungstermin bei der Suche nach Kompromissen hilfreich ist. Dabei kommt es auf den unmittelbaren Austausch von Argumenten an. Diese Unmittelbarkeit der Reaktion kann durch eine Verhandlung in räumlicher Distanz per Videokonferenz nicht ersetzt werden. Es gibt zwar Situationen, in denen eine Videoverhandlung sinnvoll ist, um z.B. Anwälten eine lange Anreise zum Gericht zu ersparen, wenn absehbar im Termin nur die Anträge verlesen werden. Die Videokonferenz im Gerichtssaal sollte aber die Ausnahme bleiben und nur bei Vorliegen wichtiger Gründe gestattet sein. Richter und Zeugen sollten stets persönlich anwesend sein bzw. in Präsenz vernommen werden.

Am 18.10.23 fand eine Experten-Anhörung im Bundestag zu dem Gesetzentwurf statt. Die hier geäußerten Bedenken werden von vielen Sachverständigen geteilt (keine „Digitalität um ihrer selbst willen“: Stellungnahme des Deutschen Richterbundes https://www.bundestag.de/ausschuesse/a06_recht/anhoerungen/968578-968578).

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