Veröffentlichung von Tagebucheinträgen in der Presse

In dem mit Spannung erwarteten Urteil vom 16.5.2023 äußert sich der BGH zur Veröffentlichung von Tagebuch-Auszügen in der Presse. Das Tagebuch war in einem strafrechtlichen Ermittlungsverfahren im Zusammenhang mit der „Cum-ex“-Affäre beschlagnahmt und sein Inhalt widerrechtlich an die Presse durchgestochen worden. In den veröffentlichten Auszügen wird u.a. über Treffen des Autors, des Aufsichtsratsvorsitzenden einer Bank, mit Kanzler Scholz berichtet.

Das Landgericht Hamburg gab der Klage des Aufsichtsratsvorsitzenden gegen das Presseorgan auf Unterlassung der Veröffentlichung von Textpassagen aus dem Tagebuch statt. Das Hanseatische Oberlandesgericht Hamburg bestätigte das Urteil in der Berufung. Die Begründung: Die Tagebücher des Klägers seien aufgrund der Beschlagnahme im Ermittlungsverfahren zu „amtlichen Dokumenten eines Strafverfahrens“ geworden, deren Veröffentlichung unter Strafe stehe (§ 353d Nr. 3 StGB https://dejure.org/gesetze/StGB/353d.html) und deshalb zivilrechtlich einen Unterlassungsanspruch zur Folge habe. Diese Begründung lässt der BGH nicht gelten und hebt das Urteil auf. Die Strafvorschrift sei nicht dazu bestimmt, die Rechte des Klägers als Autor des Tagebuchs zu schützen. Die Ausgestaltung von § 353d Nr. 3 StGB als abstraktes Gefährdungsdelikt lasse außer Betracht, ob im konkreten Fall tatsächlich Schutzgüter beeinträchtigt werden. Damit ist nach Auffassung des BGH eine einzelfallbezogene Abwägung der sich gegenüberstehenden Interessen unmöglich, die zur Feststellung einer Persönlichkeitsverletzung zwingend notwendig ist. Hier sei vor allem das Informationsinteresse der Öffentlichkeit zu berücksichtigen, was in § 353d Nr. 3 StGB aber keine Rolle spiele. Außerdem seien die tatbestandlichen Voraussetzungen der Strafnorm nicht erfüllt. Ein privates Tagebuch kann nach Auffassung des BGH selbst dann nicht als „amtliches Dokument“ angesehen werden, wenn es durch Beschlagnahme in die Obhut der Staatsanwaltschaft gelangt ist. „Amtliche Dokumente“ seien demnach nur solche, die von einer amtlichen Stelle hergestellt wurden (z.B. eine Anklageschrift) und nicht Dokumente privater Urheber. Damit ist eine alte Streitfrage entschieden.

Der BGH sieht auch keine Verletzung der Persönlichkeitsrechte des Klägers durch die Veröffentlichung seiner Tagebuchauszüge. Zwar seien die Vertraulichkeitssphäre des Klägers und sein sozialer Geltungsanspruch betroffen. In der gebotenen Abwägung der sich gegenüberstehenden Interessen überwiegen nach Ansicht des BGH jedoch die berechtigten Informationsinteressen der Öffentlichkeit und die Meinungsgrundrechte der Presse. Die wiedergegebenen Textpassagen enthielten keine privaten Details, sondern ganz überwiegend Schilderungen tatsächlicher Vorgänge. Zudem habe der Kläger selbst einzelne Beiträge in der „BILD“-Zeitung veröffentlichen lassen und damit seine Vertraulichkeitssphäre teilweise von sich aus preisgegeben. Der Presseartikel stelle einen „Beitrag zum geistigen Meinungskampf“ dar. Die Presse nehme ihre Funktion als „Wachhund“ in einer Frage wahr, die die Öffentlichkeit in höchstem Maße berühre und auch bereits Gegenstand eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses gewesen sei. Interessant sind die Ausführungen des BGH zu dem Problem, dass die Tagebucheinträge widerrechtlich durchgestochen worden waren. Ist es der Publizierende selbst, der sich die Information widerrechtlich durch Täuschung beschafft hat, macht dies die Veröffentlichung demnach grundsätzlich rechtswidrig. Anders verhält es sich aber, wenn dem publizierenden Presseorgan die widerrechtliche Informationsbeschaffung nicht selbst anzulasten ist, selbst wenn ihm die Umstände bekannt waren (BGH Urt. v. 16.5.2023, Az. VI ZR 116/22 https://juris.bundesgerichtshof.de/cgi-bin/rechtsprechung/document.py?Gericht=bgh&Art=en&Datum=2023&Seite=8&nr=134177&pos=262&anz=1468).

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